Ich glaube, der 2. Juni 2010 heute war der bisher heißeste Tag des Jahres. Ich kann’s gut ab — wenn ich mich nur wenig bewegen muß und ausreichend, also um die 3 Liter herum, trinke. Manchmal geht das. Manchmal, wie heute, halt nicht.
Heute haben wir die große Lagerhalle aufgeräumt. 200 qm Grundfläche, 6,50 m hoch. Vollgestellt mit Hochregalen, in denen auf Paletten große Schränke lagern. Manche leer, schon für den Verkauf vorbereitet, manche voll mit Blei-Schriften. Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt, bin Händler von Artikeln der Druckvorstufe des Buchdrucks. Der Boden der Halle ist zumeist von schweren Buchdruck oder Bleisatz-Maschinen vollgestellt, mit denen man zum Beispiel wundervolle Schmuck-Vignetten gießen kann.
Das schöne alte Zeugs ist zunächst einmal nur schwer und schmutzig. Eine Anlieferung umfaßt leicht zwischen 4—12 t Material, die zunächst sortiert, geprüft, entsorgt oder für den Verkauf aufbereitet werden müssen. Jedes Gramm einer Anlieferung — und die erfolgen im Jahr rund zehnmal — habe ich mindestens dreimal in der Hand gehabt, bevor der es nach dem Verkauf beim Kunden eintrifft.
Gut. Schon vor rund zwei Jahren habe ich eingesehen, daß die Jungen doch ein bißchen besser schwere körperliche Arbeit leisten können als ein 52jähriger, der ich damals war. Mein Schlüsselerlebnis: Mitten in der elendigsten Schlepperei sagt mir der Vormann der Hilfstruppe, die ich für diesen Tag angeheuert habe: «Kannst Du nicht einmal ein paar Stunden Pause machen? Die Jungs beschweren sich. Du stehst wirklich dauernd im Weg.» Ich hab’s sofort eingesehen… Quatsch… gelogen. Ich war tödlich beleidigt, habe erst Wochen später eingesehen, daß er recht hatte.
Aber heute durfte ich noch einmal ran. Abgenutzte Bleilettern aus den Setzkästen auf ein schweres Brett kippen, unter dem als Auffangbehälter ein leeres Farbfaß steht. Mit meinen hochgeschätzten Arbeitsstiefeln von Caterpillar, Staubmaske, Feldmütze. Blei ist ein Schwermetall, in festem Zustand harmlos, aber der Staub in den oft 40 Jahre alten Setzkästen ist hoch bleihaltig. Und das geht vor allem über die Haare ins Blut. Nicht gesund. Also Feldmütze (Ich weigere mich strikt, diese amerikanischen Baseball-Kappen aufzusetzen. Prinzipsache. Was für meinen Vater vor Charkow gut genug war, ist auch gut genug für mich, seinen Sohn. Harr harr…).
Jetzt ist Feierabend. Endlich. Ich bin völlig ausgedörrt, innerlich und äußerlich. Jetzt in den Duschraum. Andere haben Badezimmer, ich habe einen Duschraum mit vormals drei Duschen, Waschkaue. Mit Fliesen an Wänden und Boden und einem iPod-Sound-Dings-System. Wie herrlich schmeckt jetzt das eiskalte Volvic. Laufen lassen, einfach rein. Kühle im Körper, ich dreh‘ die Dusche auf Anschlag. Kalt. Ah, Mann… bestimmt 15 Minuten stehe ich unter der Dusche, spüre jede Faser meiner Muskeln, trinken zwischendurch und singe mit: Achim Reichel, Volxlieder. Und ich fühle mich körperlich und auch mental so stark, als könne mir keiner ‚was.
Als ich aus der Dusche komme und vor die Tür trete; in frischen Shorts und Badelatschen, sinnend mir das Brusthaar kraule. (Joh, ich habe Brusthaar und würde mir das auch niemals… wachsen. So heißt wohl der neue Trend. Ich möchte bitte keine Einzelheiten wissen.). Also… ich kraul so sinnend vor mich hin, seh‘ ich, daß die Kameraden von der Feuerwehr da sind. Mein Betrieb liegt Luftlinie 30 m von der Anger, Ratingens Flüßchen, entfernt. Und die Feuerwehr übt hier regelmäßig. Mir ist’s recht. Einmal dient es meiner Sicherheit und zum anderen… wer, bitte mag sie nicht, die Männer von der Feuerwehr?
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Oh je… oh je…
Die halbe Nacht hatte ich Wadenkrämpfe der fiesesten Art. Genau in der Mitte des großen Wadenmuskels entstand eine Furche bis fast auf den Knochen. Mitten im Schlaf. Ich habe erst gar nicht begriffen, was das ist. Bin schreiend, naja, schreiend nicht, aber aufstöhnend, ja, aufstöhnend ist besser. Ich stöhn‘ also auf und belaste das betroffene Bein. Da ging der Krampf langsam weg. Das wiederholte sich über Stunden.
Ich bin dann wach geblieben und habe mir die Sache anschauen wollen. Man sieht nur nix. Weiß denn ich, was in meiner Wade so vor sich geht? Da zieht sich plötzlich die Sehne, die vom großen Zeh zum Knöchel führt, extrem zusammen, steht nach oben weg… 1 cm? Jedenfalls gefühlte Zentimeter. Der Fuß verdrehte sich in einen Winkel nach innen – ich hätte nicht einmal gedacht, daß der bis dorthin drehbar ist.
Ne, nee. Leute. Ich laß jetzt mal ein paar Monate lang die Finger von so einer Art Arbeit, glaube ich. Selbstüberschätzung? Naja, gestern, gleich danach, habe ich mich gefühlt wie ein junger Gott. Jetzt nur noch wie ein Gott. Muß reichen…
War Mineralienmangel – zuviel geschwitzt!
Zwischendurch so’n isotonisches Getränk ist besser.