Für diese Erzählung wähle ich bewußt eine sehr direkte Position des Schreibens. Ich bin hier nicht länger der 54jährige, der reflektiert, der Umstände versteht, der sich um Objektivität bemüht. Nein, ich schreibe als 17jähriger, der mit all dem nichts zu tun hat. Weil er es als Lüge erkannt hat. Der dies aber gar nicht formulieren, gar diskutieren kann. Und es auch nicht will. Dessen Fühlen so weit weg ist vom ihrem, der Eltern, der Lehrer Denken, daß er Brücken abbricht. Besser: Er bricht sie nicht ab. Er geht hinüber und im Gehen zündet er die Brücken an. Er schaut sich ... Weiterlesen
Sushi & Caffee Latte am Rhein 7
Damit das ein für alle Mal klar ist: Ich bin kein Intellektueller, ich bin Arbeiterjunge. Und Du Vollpfosten mach' mich nicht dumm an, nur, weil Du Bücher bei mir siehst. Und frag' nicht die dämlichste aller Malocher-Fragen «Haste die alle gelesen?». Nee, natürlich nicht. Ich guck' mir nur die Bilder an. Sag' noch einer, es gäbe keine dummen Fragen. Soch... Aber jetzt erst einmal: Mahlzeit. Sie denken, Düsseldorf wäre so ein Schickimicki-Ding? Königsallee? Auto-Becker mit den geilen Ferraris? (längst pleite), Currywurst mit Blattgold im Medienhafen oder auf der Oberkasseler Rheinseite, den «Locations der Schönen und Erfolgreichen»? Joh. Gibt es. Ist so. ... Weiterlesen
Mein Fußball-Sommer 1966 1
Franz Beckenbauer, Lothar Emmerich, Jürgen Grabowski, Helmut Haller, Siegfried Held, Horst Dieter Höttges, Wolfgang Overath, Karl Heinz Schnellinger, Willi Schulz, Uwe Seeler, Hans Tilkowski und Wolfgang Weber sind mir ins Gedächtnis gemeißelt. Weltmeisterschafts-Finale 1966 England gegen Deutschland. Was für ein Spiel. Ich war elf Jahre jung, hing gemeinsam mit dem Vater und meinem Onkel Günther gebannt vor dem Fernseher, als Geoff Hurst in der 101. Minute sein Nicht-Tor zum 3:2 für England schoß. Der Schock der Schiedsrichter-Entscheidung ging tief, ein weiteres irreguläres Tor zum 4:2 fiel (Zuschauer auf dem Platz). Aus. Das Ende. «Geoffrey Hurst, 1998 von der britischen Königin Elisabeth ... Weiterlesen
Bilder aus der Kindheit 2
Die Rubrik Krupp 17 bildet eine Sammlung von Textfragmenten, die ursprünglich einmal zu einem Familienroman werden sollen. Dies zur Erläuterung. Ein solcher besteht zwangsläufig aus Erinnerungen. Das erste Photo zeigt meine Großeltern. Die Aufnahme wurde zwischen 1953 und 1955 gemacht, meinem Geburtsjahr. Denn sie stehen dort vor dem Haus mit ihrer Mietwohnung im zweiten Stock in Düsseldorf-Derendorf, die ihnen zugewiesen worden war. In Oberbilk, wo sie ursprünglich herkamen, war ein traditionelles Arbeiterviertel und somit Primärziel der Alliierten. Derendorf liegt weiter im Norden, hier lebten eher Beamte. Mein Großvater wurde 1896 geboren. Im Jahre 1914 war er also gerade einmal 18 Jahre jung ... Weiterlesen
Kindheit auf der Karolingerstraße 23 in Bilk 4
Die Karolingerstraße im Stadtteil Bilk meiner Heimatstadt Düsseldorf beginnt an der Bachstraße, die die nördliche Begrenzung des Bilker Bahnofs darstellt, mit dem Karolingerplatz und ist, laut Google Maps, 2,4 km lang. Nur eine Häuserreihe trennte unser Straßenstück vom Bilker Bahnhof, der seit der Vorkriegszeit bis weit in die 70er Jahre hinein der größte Güterbahnhof Düsseldorfs war. Und somit natürliches Ziel der Terrorangriffe der Alliierten Bomberflotten. Ach so, ja: Wenn ich von Häusern und Häuserreihen spreche, dann meine ich damit 4- oder 5stöckige Mietshäuser, in denen kleine Beamte und Arbeiter wohnten. Mein Milieu halt. Nur hier, in der Karolingerstraße, fließt die ... Weiterlesen
Jungs ticken anders 0
Ich weiß nicht, wie der Junge hieß. Es ist auch nicht wichtig. Er steht für einen der vielen Achtjährigen, wie sie im Jahre 1963, mit dem Kopf in ihrer eigenen Welt, herumliefen. Eine Welt aus Schatten und Lichtgestalten, edlen Kämpfern, bösen Feinden und so gar keiner Prinzessin im Turm, die irgendwelche Erwartungen an sie stellte. Das würde erst viel später kommen. Also nennen wir ihn einfach „der Junge“. Fünfzehn Minuten vor acht. Der Junge war knapp dran und er wußte: Kam er zu spät zum Unterricht, gab es zumindest einen bösen Blick der Lehrerin. Oder das Bambusstöckchen pfiff über die Finger ... Weiterlesen
Krupp 17 2
Endlich ist Ruhe eingekehrt. Eine große Familie ist etwas wunderbares, aber manchmal möchte man sie denn doch lieber in kleinen Einzelportionen genießen, denn nur so ist es möglich, auch einmal ein gutes Gespräch zu führen. Ein Großfamilien-Tag dagegen — das ist ein Bad in der Emotion. Jeder spricht, jeder strahlt jeden an, umarmt sich, küßt sich, liegt sich in den Armen. Aber gute Gespräche kann man dann nicht führen. Jetzt sind die Jungen gemeinsam zur Nachtvorstellung im Metropol-Theater an der Brunnenstraße gegangen, zur Rocky Horror Picture Show. „Was ist das? Vielleicht könnten wir alle zusammen...“ — „Nein, Mama. Das ist ... Weiterlesen
Eine nicht untypische deutsche Familie 0
Das Königreich Galizien gehörte in der Zeit des Ersten Weltenbrandes zum österreichischen Kronland. Ab August 1917 war der Großvater, seines Zeichens Leutnant der Infanterie und beteiligt an der großen Schlacht zur Wiedereroberung der Bukowina und Galiziens durch die Mittelmächte, gemeinsam mit seiner später nachgeholten Ehefrau hier stationiert, lebte und wirkte in der Garnison Lemberg. Nach dem Zusammenbruch im November 1918 verblieb die Familie im Ort. Dort, in Lemberg, wurde dann zunächst die Westukrainische Republik ausgerufen. Doch schon im Verlauf der sofort aufflammenden schweren Kämpfe zwischen den Polen und den Ukrainern ging Lemberg an Polen. Die Familie war nur indirekt davon betroffen, bekannte ... Weiterlesen