Preußisches Bleisatz-Magazin
Messer raus

Offener Brief an Frau Angela Merkel 2.245 views 5

Formulieren wir es doch einmal positiv: Unsere Politiker lenken das Schicksal unseres Landes. So empfand Helmut Kohl ganz sicher die Wiedervereinigung Mitteldeutschlands mit der BRD als den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn. Helmut Schmidt zeigte den RAF-Terroristen, was Staatsräson bedeutet, Konrad Adenauer holte unsere letzten Kriegsgefangenen nach Hause. Sie alle sind bzw. waren Persönlichkeiten, die die Macht, welche in ihren Händen lag, einzusetzen wußten. Ich unterstelle, daß jeder Politiker der heutigen Generation deren Handeln als Vorbild empfindet, denen er nacheifert.

Was also wäre nun die Schlußfolgerung in Bezug auf die gestörte Handlungsfreiheit der Regierungen in Bund und im Lande NRW? Im Bund steht die Wahl zum Bundespräsidenten kurz bevor. Joachim Gauck, Kandidat der SPD und der Grünen, sagte, daß er auch eine Kandidatur von CDU/FDP angenommen hätte, wäre sie ihm angeboten worden. Nun hatte sich Angela Merkel aber schon vor der Aussage des Herrn Gauck auf Christian Wulff festgelegt. Eindeutig aus parteipolitischen Gründen. Wie auch immer: Sie hatte sich festgelegt. Gerade sie, die üblicherweise zunächst das interne Geplänkel zur Meinungsfindung innerhalb der CDU abwartet, um sich nach Vollzug flugs an die Spitze der Meinungsmehrheit zu stellen und so Führungskraft zu zeigen. Egal, passiert.

Mein Rat an Sie, Frau Bundeskanzlerin Merkel: Lassen Sie Christian Wulff seine Kandidatur zurücknehmen. Der kann das. Zur Not rufen Sie mich an, ich formuliere Ihnen gern die Begründung á la: «Ich möchte dem Schulterschluß aller Deutschen, symbolisiert durch den Bundespräsidenten, nicht im Wege stehen. Meine christdemokratischen Wurzeln kann und will ich nicht verleugnen. Deshalb unterwerfe ich mich dem Gebot der Stunde.». Das käme sehr staatsmännisch und selbstlos ‚rüber, versprochen.

Sie selbst, Frau Bundeskanzlerin, betonen dann in einer Grundsatzrede zur Bundespräsidentenwahl: «Wir befinden uns in einer nie dagewesenen schwierigen Situation, die historisch ohne Beispiel ist. Wir können deshalb auf keine Erfahrenswerte der Vergangenheit zurückgreifen. Und auch wir sind nicht vor Fehleinschätzungen gefeit. Aber wir müssen handeln. Es schlägt die Stunde klar zu sagen: Wir brauchen einen Schulterschluß unserer bundesdeutschen Gesellschaft. Die Probleme unseres Landes können wir nur gemeinsam bewältigen. Joachim Gauck kann zur Symbolfigur eines solchen Schulterschlusses werden, denn er vereint parteiübergreifend das Vertrauen unserer Bürger in seiner starken Persönlichkeit. Aus diesem Grunde haben wir den Rücktritt Christian Wulffs von seiner Kandidatur entgegengenommen. Er zeigt damit die Größe und den Willen zum Konsens, den wir nun von allen demokratiefähigen Kräften unseres Landes nicht nur einfordern. Wir gehen auch mit gutem Beispiel voraus und bekennen uns hiermit zum gemeinsamen Kandidaten Joachim Gauck.»

Bitte versuchen Sie zu verstehen, was ein solcher Schritt für Sie und Ihre Regierungskoalition bedeuten würde: Sie zeigen damit Größe und den festen Willen, das Volk zu einen und dessen Willen zur Mitarbeit zu aktivieren. Vor allem würden Sie ein deutliches Signal für die Demokratie setzen, denn Sie könnten mit Fug und Recht behaupten, den Willen des Volkes erkannt und respektiert zu haben. Mit der Größe einer solchen Geste können Sie danach jedem über’s Maul fahren und parteistrategische Gründe vorwerfen, der Ihre Entscheidung kritisiert. Um Wilhelm II zu verhunzen: «Ich kenne keine Parteien[strategien] mehr, ich kenne nur noch Deutsche [Gesamtinteressen]!». Zeigen Sie uns, Frau Bundeskanzlerin, daß Sie die Kanzlerin aller Deutschen sind.

Mein Rat zur verfahrenen Situation in NRW: Wir, die Wähler, haben für die Patt-Situation gesorgt, niemand sonst. Tatsache ist doch, daß sowohl CDU als auch SPD starke Stimmenverluste haben hinnehmen müssen, egal, was Frau Kraft nach der Wahl behauptete. Tatsache ist auch, daß der einzige Sieger dieser Wahl die Grünen waren, die ihren Stimmanteil verdoppelt haben. Die Bildung einer Regierung scheitert nun an — formulieren wir es positiv — unüberbrückbaren unterschiedlichen Ansichten zur Lösung essentieller Problemblöcke in NRW, die dringend angegangen werden müssen. Aber eine Einigung ist nicht in Sicht. Nicht zuletzt aus Ego-Gründen zum Thema «Wer stellt den Ministerpräsidenten?». Selbst, wenn sich CDU und SPD noch auf eine Große Koalition einigen würden, was wäre das dann anderes als eine Regierung der Verlierer, die den einzigen Wahlsieger, die Grünen, außen vor lassen würde? Wollen Sie wirklich auf diese Weise die Politikverdrossenheit der Wähler weiter verstärken?

Mein Rat an Sie von CDU und SPD: Bilden Sie eine Regierung aus CDU, SPD und Grünen. Ziehen Sie Ihre Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, Frau Kraft und Herrn Rüttgers, zurück und einigen Sie sich auf einen Kompromiss-Kandidaten aus einer Ihrer beiden Parteien. Oder, besser noch: Einigen Sie sich auf einen Grünen als Ministerpräsidenten, z.B. Bärbel Höhn — als politischen Kompromiss.  Sie würden Größe zeigen und Verantwortungsgefühl, indem Sie egoistisches  Machtstreben zurückstehen lassen hinter den Interessen unseres Landes.

Fazit: Wenn man sich zu sehr in Details verzettelt, hilft es, einmal zwei, drei Schritte zurückzutreten und sich das Problem aus einiger Entfernung anzuschauen. Vieles wird dann klarer und vor allem erkennt man wieder das gesamte Problem und findet so einfache Lösungen.

Nein, ich mag keine der genannten Parteien oder Personen, die ich vorgeschlagen habe. Die Gründe sind bekannt. Aber vielleicht bringt es ja etwas, wenn ein Erwachsener diesem ganzen Kindergarten einmal ein paar logische Optionen aufzeigt.

  1. Kommentar by Sven — 12. Juni 2010 @ 17:28

    Liest sich niedlich, ist aber doch nicht Ihr ernst? Es wäre doch höchst naiv von Angie, dermaßen öffentlich den Kopf auf dem Hackblock der Opposition abzulegen. Sie würden ihn ihr mit Genuß zwischen die Füsse legen.

  2. Kommentar by Preuße — 12. Juni 2010 @ 17:48

    Hallo Sven,
    nein, nicht Naivität, sondern Clausewitz „Vom Kriege“:
    http://www.carlvonclausewitz.de/vom_kriege_3_9.php
    „Die Überraschung wird also das Mittel zur Überlegenheit, aber sie ist außerdem auch als ein selbständiges Prinzip anzusehen, nämlich durch ihre geistige Wirkung.“

    Frau Merkel ist in Bezug zur Bundespräsidentenwahl einer Lose-Lose-Situation nahe: Schon jetzt, während der Kandidatur, ist sie den Drohungen der FDP hilflos ausgeliefert, die offen verkünden (Sachsen-FDP), ihren Abgeordneten freie Entscheidung zu lassen. Das macht die Wahl zum Vabanque-Spiel mit jetzt schon verheerender Außenwirkung für Angela M. Gewinnt Joachim Gauck die Wahl, ist Frau Merkel Ex-Bundeskanzlerin. Gewinnt jedoch Christian Wulff, so wird ihr auf ewig anhängen, daß nicht sie, sondern die SPD Gauck, den deutschen Übervater, als Kandidaten aufstellte, während sie selbst dem Parteikalkül nachgab.

    Mit meinem Vorschlag würde sie überraschend dem politischen Gegner den vollen Wind aus den Segeln nehmen und für sich selbst nutzen können. Man würde sagen „Schau mal. Als Frau ist sie stark genug, um zuzugeben, sich geirrt zu haben und ihre Entscheidung zu revidieren, ohne daß ihr ein Zacken aus der Krone fällt wie den Herren er Schöpfung.“ Das das Quatsch wäre, zeigt Hannelore Kraft, die mit all ihrem Testosteron (woher hat sie das nur?) ihre Fixierung auf den MP-Posten auslebt. Aber Frauen glauben halt an so etwas und machen 50 Prozent der Wählerschaft aus. Ich glaube tatsächlich, Angela M. würde mit einem solchen Schritt in die Geschichte eingehen.

    Und die SPD würde nicht einmal mucken können. Zum einen, weil sie das Verhalten der Hannelore K. als Antipode zu Merkels großer Geste stünde, zum anderen: Was sollte die SPD denn tun? Sich von ihrem Kandidaten Gauck distanzieren?

    Nein, die Führungspersönlichkeiten der SPD, allen voran Herr… wie heißt er noch einmal, ihr ehemaliger Kanzlerkandidat? Ach ja: Herr Steinmeier. Dem würden die Brillengläser beschlagen, aber er würde Frau Merkel zu ihrem staatsmännischem, souveränen Denken gratulieren (müssen). Und die Sozen stünden einmal wieder wie die Doofen da. Nix neues.

  3. Kommentar by Thomas Kersting — 12. Juni 2010 @ 19:33

    Will zu Guttenberg nun auch zurücktreten? Dann AM ja langsam den Laden zumachen.

    http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~EA5E883B790BF45D6AEF2427081338F78~ATpl~Ecommon~Scontent.html

  4. Kommentar by Preuße — 12. Juni 2010 @ 21:34

    Na, vielleicht stellt ja das Pentagon für die kommende Berufsarmee Personal ab, die seine Aufgabe übernehmen. Oder die Israelis. Die haben doch Erfahrung in Georgien gesammelt. Rationalisieren wir den „Verteidigungsminister“ doch weg und setzen den „Sicherheitsberater“ eines Privatunternehmens ein. Dann geht der Ertrag aus dem Afghanistan-Einsatz künftig gar nicht mehr den Umweg über die Staatskasse, sondern direkt in die Taschen der Hochfinanz.

  5. Kommentar by Thomas Kersting — 13. Juni 2010 @ 23:07

    Nach dem Spiel am Sonntagabend wird unsere Kanzlerin frohlocken: „Seht doch, es ist alles in bester Ordnung… (mein Volk, meine Fußballer, meine Politik)!“ …das Volk ist zufrieden, es hat panem et circenses und wird den Mund halten. – Jetzt habe ich Politik verstanden!

    Thomas Kersting

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