Preußisches Bleisatz-Magazin
Messer raus

Horst Köhler, die (das?) Letzte 2.101 views 1

Nachdem nun klar ist, daß man «in demokratischem Prozedere» hart um die Nachfolge des zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler ringt und die Medien der 4. Gewalt schon den neuen Bundespräsidenten, Christian Wulff, auf den ersten Seiten ihrer Publikationen vorstellen — die Wahl zum neuen Bundespräsidenten findet übrigens erst am 30. Juni 2010 statt — sollten wir hier eine kurze Nachlese betreiben.

In einem politischen Magazin der ARD wurde die These aufgestellt, daß es die Blogger waren, die Horst Köhler stürzten. Sein umstrittenes Interview mit dem Deutschlandfunk habe schon einige Tage zurückgelegen und wäre von den Medien vielleicht als ungeschickt formuliert, aber keinesfalls als Affront verstanden worden. Ein Student habe dann über seinen Twitter-Zugang die maßgeblichen Medienvertreter der deutschen Presselandschaft über die dort erlaubten 140 Zeichen unter Druck geetzt, diese Meldung nun endlich auch zu veröffentlichen. Erst hierdurch sei der Druck auf Horst Köhler entstanden.

Nun mag es schon sein, daß Politiker wie Herr Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen und auch andere Oppositionspolitiker permanent nach Gelegenheiten Ausschau halten, dem politischen Gegner ein Bein stellen zu können. Wir wissen ja, daß die Wahrheit nicht zwingend den Fakten, sondern eher der subjektiven Wahrnehmung entspricht und permanent manipuliert wird. Dem Twitterer ist demnach vielleicht die Initialzündung gelungen. Ihn und darüber hinaus pauschal die politische Blogger-Szene für die Beschädigung des Bundespräsidenten verantwortlich zu machen, scheint mir aber fragwürdig. Vielleicht soll hier einer Szene geschmeichelt werden, die von den klassischen Medien eher hilflos beobachtet wird. Die vierspaltige Überschrift der Rheinischen Post vom Donnerstag, den 4. Juni 2010, lautete: «Schwarz-Gelb will von der Leyen». Diese Nachricht war bei Auslieferung der Zeitung längst überholt.

Die klassischen Printmedien sind seit langem in der Krise. Schon in den späten 80er Jahren wußte in den Redaktionen, ja, selbst in der Technik der großen Zeigungshäuser jeder, daß das Geld nicht durch die Redaktionen verdient wird, sondern einzig und allein durch die verkauften Anzeigen. Was glauben Sie, warum der Mantel der immer weniger werdenden kleineren Zeitungen heutzutage zumeist aus Agentur-Meldungen besteht, zu denen dann ein Umbruchredakteur vielleicht noch einen kurzen Vorspann schreibt oder redigiert? Häufig ist der Zeitungsredakteur heute gar kein gelernter Journalist mehr, sondern eine angelernte Kraft (Generation Praktikum läßt grüßen). Nein, nein. Der redaktionelle Teil der Zeitungen besteht aus Einheitsbrei. Und der Verkauf der Anzeigen läuft immer schleppender. Das führte zur Konzentration der Printmedien durch Aufkäufe der großen Verlage. Springer und die WAZ-Gruppe beherrschen heute die Meinungshoheit der Printmedien. Und ihnen schwimmen die Felle weg. Denn immer noch nicht wurde das Goldene Kalb der Internet-Vermarktung gefunden. Die Medien sind zwar präsent im Netz, aber sie verdienen dort kein Geld. Bezahldienste für Information lassen sich nicht durchsetzen. Und wie gierig schauen deshalb die Redaktionen auf die zum Teil immens hohen Abrufzahlen diverser Blogger und Twitter-Anwender. «Was haben sie, was wir nicht haben?»  Ich sag’s Euch, liebe Kollegen der schreibenden Zunft: Meinungsvielfalt. Es gibt keinen konträren Standpunkt zu einem beliebigen Thema, der nicht von irgend einem Blogger vehement vertreten wird — siehe diesen Preußen-Blog hier.

Das Auslösen der Affaire Horst Köhler der Blogger-Szene zuzuschreiben, ist dennoch falsch. Eben wegen der vorherrschenden Meinungsvielfalt. Es gibt zumindest im politischen Bereich unter den Bloggern keine herausragenden Persönlichkeiten mit Einfluß auf die Massen. Das ist auch ganz gut so. Es lebe die Vielfalt!

Was bleibt, ist die Demontage der Person Horst Köhler. Ich habe das erst nicht verstanden. Der Mann hat doch schon seinen Rücktritt erklärt. Wozu nun noch nachtreten und ihm jegliche Kompetenz für den Posten an sich absprechen? Das ist doch — jenseits jeglicher Moralbetrachtung — ineffektiv. Die Antwort, auf die ich gekommen bin, macht mich traurig. Aber sie ist in sich schlüssig: Mit seinem Rücktritt hat Horst Köhler Medien und Opposition die Luft aus den Segeln genommen, die Show gestohlen. Wie staatsmännisch hätte Jürgen Trittin bei Maybrit Illner auf seine erfüllte Pflicht als verantwortungsvoller Politiker hinweisen können «Der Kerl mußte weg». Wie gern hätte die WELT Horst Köhler weiter demontiert. Selbst meine Stamm-Tageszeitung, die Rheinische Post, platziert einen Artikel über das Ruhegeld des Bundespräsidenten scheinbar zufällig auf die Seite mit der Bekanntgabe seines Rücktrittes. Liebe Journaille: Mit dieser Nachricht betreibt Ihr Systemkritik und nicht eine an Horst Köhler. Gebt mir eine wochentliche Kolumne und ich schreibe Euch noch viel mehr davon.

Letztendlich ist Horst Köhler weder Täter, noch Opfer. Er ist Produkt des Systems, in dem er bewußt und willentlich lange Jahre mitgespielt hat — zum Wohl und Frommen beider; seiner selbst und eben des Systems. Er wurde durchgekaut und letztendlich ausgespuckt. Beschweren darf er sich darüber nicht, denn er kann keine Illusionen über die Mechanismen haben. Aber ich habe auch noch nirgends gelesen, daß er sich beschwert. Er fällt ja weich. Das tröstet und läßt einen hübsch stille bleiben.

  1. Kommentar by CO2 — 6. Juni 2010 @ 22:36

    Bravo, das sind die ersten vernünftigen Zeilen, die ich zum Köhler-Rücktritt lese!!!
    Gruß
    CO2

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