Preußisches Bleisatz-Magazin
Kochen

Pfingstsamstag: Wochenendeinkauf 12.279 views 0

Der Freitag gestern muß einen Fehler in der Matrix gehabt haben: Bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, was ich für’s lange Pfingstwochenende einkaufen sollte, war der Tag schon vorbei. Die Spedition holte zwei Paletten ab, Sebastian, meine Aushilfe, verarbeitete unten in der Halle sechs Bleisatz-Schränke, die zuvor um die 30 Jahre lang in einem «trockenen und gut belüfteten» Gewächshaus gestanden hatten und «bestens erhalten» waren. Joh, stimmt schon. Das bißchen Laub und Pflanzensamen in den Setzkästen machte nicht viel aus. Aber die vielen Wechsel von hoher Luftfeuchtigkeit nach einem Sommerregen und der trockenen Kälte im Winter hatten den «Bleifraß» gefördert. Chemische Prozesse im Blei werden angestoßen und es bilden sich Kristalle an den Lettern. Sie werden zunächst von einem stumpfen, kreideartigen Überzug befallen, später dann sammeln sich sehr harte, schwärzliche Kristalle an den Enden der stehend gelagerten Lettern. Spätestens dann sprechen wir nicht mehr von Bleilettern, sondern von Blei-Schrott. Das Zeugs ist nur noch gut, um es als Metallrohstoff zu verkaufen. Egal, bringt auch Geld.  Sebastian ist eine gute Aushilfe: Groß, trapezförmiger Oberkörper und dazu blitzgescheit — Typ «potentieller Schwiegersohn», wenn die Stelle nicht längst fest (und zu meiner vollen Zufriedenheit) besetzt wäre. Na, vielleicht in einem anderen Leben.

Jetzt ist Pfingstsamstag, Großkampftag an der Einkaufsfront. Als Selbständiger kann ich solche Schlachten meist vermeiden, muß höchstens noch beim Bäcker ein paar frische Teile besorgen. Heute geht das nicht, ich muß da durch, denn es wird heute Nudeln Alfredo geben — nach einem Rezept von Chris, dem Kerl mit der potentiellen Anwartschaft, von der ich zuvor schrieb.  Ich habe zwar beim Studieren der angegebenen Zutaten nicht verstanden, was Frau Knobloch, die Vorsitzende des ZdJ damit zu tun hat (ist das Gericht vielleicht koscher? Hat da gar Unsympathicus Paolo Pinkel seine Extremitäten im Spiel, wenn schon nicht unter Kontrolle?). Bei Gelegenheit muß ich den jungen Mann fragen. Vielleicht ist er gar Zionist? Sicherheitshalber erweitere ich das Rezept mutwillig und schreibe eine Packung geklebten Kochschinken mit auf den Einkaufszettel. Ja, richtig: Ich gehe grundsätzlich nur mit Einkaufszettel einkaufen. Das ist kein Widerspruch zur männlichen Coolness (ich verwende dafür selten Einkaufswagen,  balanciere meine Einkäufe auf den Unterarmen zum Fließband an der Kasse, ordere dort grundsätzlich «eine offene Tragetasche, bitte», weil meine ungeschickten Malocher-Hände die zusammengeklebten Öffnungen selbiger nicht auseinanderfriemeln können. Die leeren Einkaufstüten verwende ich übrigens umweltfreundlich als Abfallbeutel; schlinge sie um den Griff meines Küchenunterschrankes und wenn sie voll sind, schneide ich die Schlinge durch; fertig. Sehr praktisch.)

Der Parkplatz am Supermarkt ist brechend voll. Kein großes Ding, ich stelle mich quer zu den Parkbuchten an den Randstreifen. «So, wie sie stehen, kommt niemand aus den Parkplätzen dort raus.» Ich mag Menschen, die sonst keine Probleme haben. «Joh. Wird schon irgendwie gehen.» Im Vorbeihuschen angel ich mir doch ‚mal einen Einkaufwagen. Im Supermarkt beginnt die Schlange an den Kassen schon am Eingang. Ächtz. Gleich vorn steht ein Ömchen, sucht einen Einkaufswagen. Die sind alle On Tour. Ich gebe ihr meinen, brauche ja eh nicht viel.

Noch ein Blick auf den Einkaufszettel und los geht’s. Suppengemüse — sehr praktisch, da ist alles dabei: Möhren, Lauch und diese harten, großen, weiß-gräulichen Knollen… ah, ja, Sellerie. Petersilie habe ich noch, Knoblauch sowieso, Sahne lassen wir weg — macht nur fett. Ein gutes Stück Parmesan habe ich auch noch. Beim händischen Raspeln müssen zumeist die Fingernägel mit dran glauben, aber was soll’s? Apropos Fingernägel. Vor mir an der Gemüsetheke steht ein Gerät, Marke Partygirl. Gummititten (ich stelle mir immer vor, wie sie nach vorn auf die Nase fallen, die Silikonkissen den Aufprall dämmen und sie in den Stand zurückfedern lassen — absolut unerotisch). Aber wirklich eklig finde ich zu stark geschminkte Frauen. Ich habe keine Ahnung von MakeUp, aber wenn ich als Mann erkenne, daß eine Frau geschminkt ist, dann trägt sie zuviel auf. Das ist eindeutig. Sie stäubt. Eindeutig: sie stäubt. Dieses hellbraune Gesichtspuder, mit dem sie nur den vorderen Teil ihres Gesichtes eingeschmiert hat, ist getrocknet und bei jedem Verziehen der Mundwinkel bröckelt der Putz ab, fällt ihr auf die Schulter, stäubt mir, der ich knapp rechts hinter ihr stehe, auf Jacke und Hemd. Sie tut mir furchtbar leid, wie kann man sich bewußt dermaßen verunstalten? Gut, mein 3 mm Fassonschnitt mit dem langen Oberhaar ist nicht jedermanns Sache. Aber immerhin praktisch. Und ich bin ein sehr reinliches Kerlchen, rieche gut und habe sehr schöne Hände. (Hören Sie auf zu Lachen, dahinten, bitte.).

Ich habe meiner Ex-Frau immer schon gern zugesehen, wenn sie sich im Bad zurechtmacht. Sie ist  so ernsthaft bei der Sache. Jeder Handgriff sitzt. Mit spitzen Fingern wird hier ein Töpfchen aus dem Regal genommen, dort ein kleiner Strang einer gutriechenden Paste aus einer Tube gedrückt, mit dem Handballen verrieben, auf die Wangen getupft. Sie summt irgendetwas vor sich hin dabei. Das macht sie immer. Kann nicht ruhig sitzen, wippt immer mit dem Fuß eine für alle anderen unhörbare Melodie mit, die nur sie hört. Dann der letzte, knallhart-kritische Blick in den Spiegel, noch zweimal an der Haarsträhne gezupft, die gewollt in die Stirn ragt — es kann losgehen, «Komm‘ ruhig, Tag. Ich mach‘ Dich fertig». Einfach toll.

Meine Einkäufe habe ich nun beieinander, komme zur Kasse. Hier ist Hauptkampflinie — kein Platz für Gnade, hier wird auch der kleinste Vorteil schamlos ausgenutzt. «Ich habe nur zwei Teile. Meinen Sie, Sie könnten mich vorlassen?» Joh, klar. Die Dame lächelt mich tapfer an. Weit über 60, einen Rollator vor sich herschiebend, auf dessen Ablage ein Liter Magermilch und eine Schachtel Tiefkühlspinat ohne Blubb. Da geht’s mir ja noch danke dagegen. Langsam nähern wir uns dem Stellwerk der Entscheidung. Dort teilt sich die Schlange an einer Abzweigung zu zwei Kassen auf. Ich mustere die Einkaufswagen vor mir. Hochbepackt, immerhin ist Notstand: Montag ist Feiertag, die Hamsterer sind unterwegs. Dort entscheidet sich eine Mutti mit gleich zwei Einkaufswagen für die rechte Kasse. Im Kindersitz grabscht ein Gör nach den Süßigkeiten-Ständern, die den Parcour vervollkommnen. Meine Entscheidung steht fest: Es wird die linke Kasse sein. Die Rollator-Fahrerin vor mir ist ebenfalls eine erfahrene Einkäuferin und wendet sich nach links. Allerdings ist sie nicht nur erfahren, nein, sie ist infam. Drei Einkäufe vor dem Fließband, auf das wir alles zu legen haben, was es zu bezahlen gilt, höre ich von hinten ein «Lassen Sie mich bitte zu meiner Frau durch?» Ich übe automatisch den Ausfallschritt nach rechts. Der Gatte der Rollatorin balanciert geschickt einen vollgeladenen Einkaufswagen an mir vorbei. Die Schlange hinter ihm schließt schnell auf, ich bin rausgeschossen. Und schnappe nach Luft, pumpe mich auf. Die beiden Greise schauen mich neu- und gierig an. Erwarten sie einen Skandal? Werde ich mich beschweren? Meckern? Ich weiß nicht, bin hilflos. Man muß auch erkennen, wann man verloren hat. Der Sellerie in meinem Arm stinkt mir in die Nase, verhöhnt mich. Ich will wenigstens HINTER diesem hinterhältigen Greis wieder in die Schlange, ernte aber nur die feindseligen Blicke einer Profi-Hausfrau, die eiskalt zu sagen scheinen «Probier’s mal, Du Sack…» — Die Mutti mit dem Gör hat ein einsehen. Sie kommt gleich an die Kasse. Immer noch zerrt ihr Balg natürlich den untersten von zwei Millionen aufgetürmten «Kinderspeck-Tüten» aus dem Stapel. Mit einem kurzen Griff hebt sie einhändig das Kind aus dem Einkaufswagen «Hier, halten sie mal. So ist gut. Aber festhalten, der geht schon nicht kaputt. Und nun gehen Sie vor.» Au Mann. Meine Rettung. Zwar spielt der Bengel (Es muß ein Junge sein, er trägt ein AC/DC-Hemd) sofort mit meinem Suppengemüse, schiebt sich das Porrée in den Mund und zerrt kauend an meiner Lederjacke. Aber ich stehe an der Kasse.

«Eine offene Tüte, bitte.» — Ich setze das Gör auf das Band und sehe vor meinem geistigen Auge Maggi Simpson, wie sie die Scannerkasse durchläuft und vom Einkaufsverpackungshelfer mit in eine Tüte verpackt wird. Warum gibt es das bei uns nicht? Ist das Hartzern nicht zumutbar? Geht das gegen ihre Würde? Ich würde sonst etwas dafür geben, wenn mir an der Supermarktkasse diese freundlichen Helfer zur Seite stünden. Das Kind kippt vom Laufband. Warum muß es auch unbedingt schauen, was es darunter zu finden gibt? Mutti hechtet nach vorn, ich rette mein Suppengemüse mit hartem Griff.

«Sie’m Euro sechsundfuffzich, bitte.» Mir ist jetzt alles egal und drücke der Kassiererin einen Zehner in die Hand. Die steht schon auf, beugt sich weit nach vorn, um ins Untergestell des Einkaufswagens der Mutti zu schauen. Könnte ja sein, daß die dort einen VW Polo am Scanner vorbeischmuggeln will. Trotz des Stresses registriere ich dankbar die hübschen großen Titten der Kassiererin im weit offenbarten Ausschnitt, die sie mir im Vorbeugen präsentiert wie Orden. Da soll mir doch keiner erzählen, daß eine Frau nicht genau weiß, warum sie eine so offenherzige Bluse anzieht. Gleich geht’s mir ein bißchen besser. «Schönes Pfingstwochenende.» — «Dito. Endlich Sommer, ne?» Sie grinst mich an. Weiß also genau, daß ich… und was ich dabei dachte… Schon in Ordnung. Ich grinse zurück, bin zufrieden.

Auf dem Weg zu meinem ungünstig geparkten Wagen begegne ich der Mutti noch einmal, als sie gerade Kind und Einkäufe in Ihrer Familienkutsche verstaut, in der schon ein mittelgroßer Mischlingshund auf sie wartet und sie freudig begrüßt. Ein Mann kommt lässig herangeschlendert. Anzugtyp, aber keine Krawatte —’s ist ja Samstag. Die ZEIT unter dem Arm, ein Apothekentütchen in der Hand. «Ich hab‘ die Nasentropfen für Eugen nicht bekommen, die Du mir aufgeschrieben hattest. Hab‘ ein paar andere mitgebracht, die bringen’s sicher auch.» Ich beschließe, nichts  mehr davon hören zu wollen. Das kenne ich alles aus meiner Vergangenheit vor ca. 15—18 Jahren. Allein leben hat schon manchmal Nachteile, aber unter’m Srich… Insgeheim wünsche ich den beiden ein paar ruhige Tage und fahre heim.

Pfingsten kann kommen.

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Falls Sie meinen, dies sei ein satirischer Beitrag, dann irren Sie. Achten Sie einmal auf die Rubik, in der ich diesen Beitrag hochgeladen habe.

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