Preußisches Bleisatz-Magazin
Stimmungsbilder

Tot-Mann-Tot 1.569 views 0

Er schaute zu, wie die Fleischstücke in der Pfanne, im Fett leise britzelnd, verkohlten. Ja, er hätte sie wenden müssen, aber wozu? Er wollte es sogar,als der Geruch des verbrannten Fleisches begann, durch das Zimmer zu kriechen. Der würde, das wußte er, bis zum nächsten Tag unangenehm im Raum hängen. Im Bett, im Sessel mit der angeklemmten Leselampe. Und in den hunderten von Büchern, die allein ihm ein Gefühl von Zuhause gaben. Deshalb nahm er nun auch die Pfanne von der Herdplatte und ließ die halb verkohlten Fleischstücke in die Plastiktüte gleiten, die ihm für seinen Abfall diente. „Eh kein Hunger, scheiß drauf.“ Er drehte sich eine Gauloise und rauchte aus dem Fenster hinaus in den Winterregen.

So ziemlich auf den Tag genau seit einem Jahr hauste er nun auf diesen 16 Quadratmeter Tristesse. Wohlgemerkt: Es berührte ihn nicht wirklich. Über die Trauer war er hinaus. Er funktionierte, betrieb — einmal wieder — Mimikry. Das beherrschte er bis zur Selbstaufgabe. Mehrmals in seinem Leben waren es zwei Mechanismen gewesen, die ihm das Überleben garantierten. Sich abschauen „Wie benimmt man sich als Mann, dem nach 25 Jahren Ehe die Frau weggelaufen war?“ Alles wird einfacher, wenn man seiner Umgebung genau das zeigt, was sie erwarten. Die Menschen verstehen, was sie kennen. Sie fragen dann nicht mehr. Aus Rücksichtnahme oder auch froh, mit einem verständnisvollen Nicken davonzukommen. Jeder hat doch auch so schon genug am Hals. Der zweite Mechanismus war die Reduktion. Nicht, daß er in seinem 54jährigen Leben nicht gern schöne Autos gefahren hätte. Urlaubsreisen, Kurzreisen in die großen europäischen Städte, ein gutes Essen im Sterne-Lokal. Er genoß es, aber er brauchte es nicht. Und er konnte schon immer — und tat es jetzt — die Stellschraube der Reduktion anziehen bis auf die existentiellen Fragen: „Habe ich genug zu essen?“, „Habe ich ein Bett zum schlafen?“, „Ist mir kalt?“ — Dies war der Bodensatz, den er ertrug. Fiele der jemals weg…

Er drückte die Kippe in den ausgebauten Autoaschenbecher, der auf dem kleinen Rauchtisch stand. Nicht schön, aber praktisch. Er schloß luftdicht. So brauchte man die Kippen nicht ausdrücken. Und es stank nicht auch noch nach Kippen im Raum. Gestern hatte er eine Kurzgeschichte von Edgar Allen Poe gelesen. Ein Mann, eingeschlossen in einem großen Zimmer, in dem sich der Fußboden langsam zurückzieht, so daß der Mann sich immer enger an die Wand drückt. Wissend, daß es nur noch Minuten dauern wird, bis der Boden völlig verschwunden ist und er ins Nichts stürzen wird. Warum sprang er nicht? Worauf wartete er? Er wartete nicht. Man sprang nicht. Das gehörte sich nicht. Man hat zu kämpfen bis zum Ende, ganz egal. Und sei es um des Kämpfens willen. Genau so war es, als ihn kurz vor seinem Auszug aus dem gemeinsamen Haus ihre Email erreichte. „Ich liebe Dich nicht mehr. Und deshalb trenne ich mich von Dir.“ Und er dachte nur: „Du bist tot, Mann, tot.“

Die wenigen Freunde, denen er die Email gezeigt hatte und deren Frage nach dem Warum er nur mit einem Kopfschütteln quittierte, „Mensch, was hast Du denn angestellt?“, nannten ihn danach manchmal Tot-Mann-Tot. Diesen Namen akzeptierte er.

Nun war das Trennungsjahr vorbei. Sie hatte die Scheidung eingereicht. Und er hatte dies — natürlich — akzeptiert. Er war nicht böse, war nur traurig gewesen. Ein Lebensabschnitt war vorbei, ein sehr langer. In dem er nur in der ersten Zeit er selbst gewesen war und dann Familienvater, Ernährer, Objekt bei Ihrer Emanzipierung, zuletzt nur noch Wünsche-Erfüller. Und wehe, wenn nicht.

„Verstehen Sie’s doch einfach als Chance.“, hatte der Psycho gesagt, zu dem er gegangen war, als er nun wirklich zu eindeutig und oft im Großen Weltnetz nach Informationen über Insulin und dessen Überdosierungen gesucht hatte. Als fest stand „It works!“, wußte er, daß er nun alleine nicht mehr klar kommen würde und Hilfe brauchte. Dieser letzte Instinkt hatte ihn nicht zum erstenmal vor dem Letzten bewahrt. Er nannte es  „Schutzengel“. Reichlich überstrapaziert in 54 Jahren, aber offenbar auch sehr geduldig.

Ja, klar. Als Chance. Das hieße: Kein Mimikry mehr, sondern selbst sein. Gar nicht so einfach für einen in Jahrzehnten konditionierten Mann. Seit Monaten schon grübelte er darüber nach. Kam zum Entschluß „Denk‘ nicht, mach.“.

Und Tot-Mann-Tot sortiert sein Leben. Hier. Jetzt.

No comments yet.

RSS feed for comments on this post. TrackBack URL