Preußisches Bleisatz-Magazin
Krupp 17

Bilder aus der Kindheit 2.779 views 2

Die Rubrik Krupp 17 bildet eine Sammlung von Textfragmenten, die ursprünglich einmal zu einem Familienroman werden sollen. Dies zur Erläuterung. Ein solcher besteht zwangsläufig aus Erinnerungen.

Das erste Photo zeigt meine Großeltern. Die Aufnahme wurde zwischen 1953 und 1955 gemacht,   meinem Geburtsjahr. Denn sie stehen dort vor dem Haus mit ihrer Mietwohnung im zweiten Stock in Düsseldorf-Derendorf, die ihnen zugewiesen worden war. In Oberbilk, wo sie ursprünglich herkamen, war ein traditionelles Arbeiterviertel und somit Primärziel der Alliierten. Derendorf liegt weiter im Norden, hier lebten eher Beamte.

Mein Großvater wurde 1896 geboren. Im Jahre 1914 war er also gerade einmal 18 Jahre jung und meldete sich wie fast alle seines Jahrganges bei Kriegsausbruch freiwillig. Sein Wehrpaß könnte als Romanvorlage dienen. Er wurde an allen Fronten eingesetzt. Nach dem Zusammenbruch 1918 wurde im Diktatfrieden von Versailles dem Deutschen Reich die Demilitarisierung der Provinz Rheinland auferlegt. Erst 1936 konnte die vollständige Souveränität wiederhergestellt werden. Und in eben diesem Jahr meldete sich der Großvater im Alter von 40 Jahren, wieder zum Dienst. In der Zwischenkriegszeit gründete er mit der Großmutter eine Familie, zeugte sieben Mädchen, einen Jungen. Letzterer starb im Alter von 10 Jahren an Diptherie, eine damals nicht seltene Folge der Mangelwirtschaft. Wenn wir (ja, wir) heute oft von den Goldenen Zwanziger Jahren schwärmen, der Kunst und Kultur, dann besinne ich mich meist schnell und sehe die Bilder einer Käthe Kollwitz und die Zeichnungen Zilles vor meinen Augen. Im Grunde genommen tanzte und feierte eine kleine Clique Profiteure wilde Feste, auf denen eben diese Künstler für Geld auftraten, während das einfache Volk größte Not litt. Mir fällt dann die Schizophrenie auf, der wir (ja, wir) unterliegen. Waren es denn nicht eher die Männer und Frauen, die aktiv die Zustände verbessern wollten, diejenigen, die hohes Ansehen genießen müßten? Und nicht die, die auf Kosten eben dieses notleidenden Volkes feierten? Die Kunst war doch niemals wertfrei. Die Künstler schufen ihre Werke, um zu partizipieren.

Wie auch immer. Der Großvater absolvierte seinen Dienst bis Ende Mai 1945. Ging dann in Thüringen, wohin sich seine Truppe aus Düsseldorf abgesetzt hatte nach der Besetzung Befreiung durch die Amerikaner.

Das unterste Bild zeigt mich mit (von links) einem Kriegskameraden meines Vater, meinem Vater und zwei sehr lieben Onkeln. Ich muß damals wohl acht oder neun Jahre alt gewesen sein; im Jahr 1963 also. Und stolz wie Oskar, daß ich bei den Männern bleiben durfte. Das Photo entstand bei irgendeiner der damals bei uns zahlreichen Familientreffen in unserer Wohnung in Düsseldorf-Bilk.

Nach dem Essen trennte sich die Bagage immer auf. Die Frauen gingen in die Küche, machten den Abwasch und unterhielten sich dort eine Weile. Die Männer legten das Jacket ab, öffneten die Krawatte ein wenig und gaben sich dann langsam die Kante. Wenn ich mir das Bild so anschaue, glaube ich, daß sie alle schon so recht einen intus hatten. Nach zwei, drei Stunden stießen dann die Frauen wieder hinzu, meckerten, weil die Männer zuviel getrunken hatten und wieder nur über die ollen Kamellen vom Krieg sprachen (diese Geschichte, die mir wiederum glühende Wangen verpaßten) und dann ging’s da wirklich rund. Mein Vater ist Jahrgang 1926, also war er damals Ende 30. Die Höhepunkte solcher Familienfeiern verliefen meist so, daß so ziemlich alle (bis auf die Mutter) hinüber waren. Dann pfiff mein Vater gellend auf den  Fingern (joh, auch um 2:30 Uhr nachts. Kam ein Nachbar, um sich zu beschweren, bekam er ein Glas Vodka in die Hand und mußte mitfeiern). Und dann tanzte der Alte Kosatschok. Am nächsten Morgen konnte er dann seine Knochen kaum noch sortieren und bekam mächtig Zunder von der Mutter. Aber dieser Abend war seiner. Den konnte ihm niemand mehr nehmen.

Solche Abende waren für mich regelfrei. Ich durfte aufbleiben, solange ich wollte. Ging ja auch gar nicht anders. Wir lebten in einer 90 qm Wohnung mit drei Kindern, die Wände und Türen waren hellhörig, an schlafen war gar nicht zu denken.

Mein Großvater und mein Vater hatten sehr schwere Leben. Viel schwerer als wir es heute haben. Und es ist so einfach, heute über diese Männer zu urteilen, sie zu verurteilen. Sie sind Produkte ihrer Epoche. Wenn man sie überhaupt beurteilt, dann aber bitte ausschließlich aus der damaligen Sicht. Alles andere wäre doch verlogen.

  1. Kommentar by Wanjek — 29. Mai 2010 @ 17:03

    Hallo Georg,
    ich lese Deine Seiten regelmäßig.
    Meinen Vater mal mit Deinem Vater so zu sehen hat mich echt gerührt.
    Ich arbeite gerade die Geschichte unseres Großvaters auf.
    Hier scheint mir in Deinem Bericht etwas zu fehlen!!
    Warum war er in einem Internierungslager nach 1945??

    Deine Krankheiten sind furchtbar, aber andere haben es auch geschafft.
    Kopf hoch
    Peter

  2. Kommentar by Preuße — 29. Mai 2010 @ 20:16

    Lieber Cousin,
    mich freut es sehr, daß Du meine Blogeinträge regelmäßig liest. Und Dein Vater, mein Onkel, war ein großartiger Kerl. Weißt Du eigentlich, daß ich um 1964 herum bei einem Familienbesuch (Du warst nicht da) den langweiligen Erwachsenen im Wohnzimmer entfliehen durfte? Deine Mutter schob mich in Dein Zimmer, drückte mir «Die Feuerzangenbowle» von Heinrich Spoerl in die Finger mit den Worten «Du liest doch gern. Also lies und mach‘ hier bloß nichts kaputt.» Habe ich nie vergessen 🙂

    Ich werde fertig mit dieser Krankheit, Peter, das weiß ich.

    Ich bin etwas überrascht durch Deine sehr direkte Frage. Aber: Klare Frage, klare Antwort: Unser Großvater war dienstverpflichtet zur Heeresstreife Kaiser, die zum Teil weit über das in solchen Fällen angemessene, berechtigte, soldatische Maß gehandelt und Unrecht begangen hat. Hierfür mußten sie sich nach dem Krieg vor den Siegermächten verantworten. Mir wäre lieber gewesen, dies sei vor einem deutschen Gericht geschehen, aber soweit ich das überblicken kann, hat in diesem Fall auch das englische Besatzungsgericht Recht gesprochen. Unser Großvater ist von persönlicher Schuld freigesprochen worden. Das ist wenig genug.

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