Preußisches Bleisatz-Magazin
Vom Kommenden

Weg da — ich muß leben 5.339 views 5

Am 26. Juni 2010 wurde mein Einweisungstermin auf den 13. Juli festgelegt. 17 Tage, die mir blieben. Heute, am 6. Juli, sind nun schon zehn Tage davon vergangen. Ich habe sie gelebt diese zehn Tage. Viel intensiver als je zuvor. Wie selbstverständlich ich bis zu dieser Scheiß-Diagnose die Tage nahm. Komisch. Diese zehn waren… anders.

Tatsächlich habe ich es geschafft, meinen Pflichten nachzukommen. Letzte Angelegenheiten aufzuarbeiten — gut, die eine oder andere nicht-existentielle wartet noch auf die Erledigung. Aber das ist kein größeres Problem mehr. Ich habe vorgesorgt bis September. Und wer weiß schon so weit voraus, was mit ihm ist?

Ich habe hineingepackt in diese zehn Tage, was nur hineinging. Sicher zu hektisch, manchmal wie beim Abhaken eines Wunschzettels: erledigt, mache ich morgen, erledigt.

Heute nun bin ich durch mit dem «unbedingt noch einmal erleben wollen». Hundertmal mehr Wünsche sind offen geblieben, aber die Zeit reicht nicht. Wozu es also bisher nicht reichte, das bleibt also offen, unerfüllt. Wer weiß, wozu es gut ist.
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Weg da – Herman van Veen- – MyVideo
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Heute Morgen war es vorbei. Ich spürte keine Hektik mehr. Es ist nun alles gelebt, was noch hineinpaßte in diese Wartezeit. Kein «Frühstück in Ratingen» mehr — es gibt nun wichtigeres zu erledigen. Ein Kaffee und etwas Obst muß reichen morgens. Heute habe ich eine Nachricht verschickt, daß ab nächsten Montag Betriebsferien sind. Was für ein schöner, neutraler und nachvollziehender Begriff.

Noch sieben Tage der konkreten Vorbereitungen. Sie werden ausreichen. Und was dann nicht erledigt ist, bleibt halt unerledigt. Ich werde es nicht ändern können.

Irgendwie meine ich mich zu entfernen. Immer mehr erscheint mir profan, unerheblich. Mein Hausarzt hat sich bei mir entschuldigt. Für die vorzeitige mündliche Diagnose des Radiologen, der mich einige Abende nach seiner Untersuchung privat anrief und mir die Diagnose — aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung und so, laber, laber — mitteilte. Der habe seine Kompetenz überschritten, das sei nicht seine Aufgabe gewesen. Nun ja. Das ist alles Vergangenheit. Und letztendlich hat er ja richtig gelegen mit seiner Diagnose.

Ich werde sehr viel weniger schreiben hier in meinem Blog. Zu dem Thema, das ich ausschließlich hier in dieser Rubrik behandel, ist alles gesagt. Und alle anderen Themen… nicht wichtig jetzt. Egal, wie es sich entwickeln wird, es wird nie wieder so sein wie zuvor. Und dennoch: Es ist richtig, wie es sich entwickelt hat und es wird richtig sein, was kommt.

Zurück geblickt auf 54 Lebensjahre habe ich auch. Bilanz gezogen? Ach nein, das nicht. Was brächte das? Es waren 54 Jahre Leben. Mein Leben. Ich hatte nun einmal nur dieses, was soll ich da werten? Es ist gelebt.

Mir hat das Schreiben hier Freude gemacht. Falls Euch auch, ist das schön. Ich werde mich am 12. Juli noch einmal kurz melden hier.

  1. Kommentar by Lara — 7. Juli 2010 @ 07:48

    Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
    die sich über die Dinge ziehn.
    Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
    aber versuchen will ich ihn.

    Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
    und ich kreise jahrtausende lang;
    und ich weiss noch nicht:
    bin ich ein Falke, ein Sturm
    oder ein grosser Gesang.

    (Rilke)

    Danke schon mal für’s Teilhaben lassen. Für die Spaziergänge und die Frühstücke
    in Ratingen, für das Mitnehmen zu den Untersuchungen, für das Erzählen von Dingen, die dir wichtig sind, für die Lebensfreude und die Zweifel, für das Lachen, die Musik und die Vuvuzelas. 😉
    Rilke weiß nicht, was er ist, schreibt er. Du schon.
    Und ich jetzt auch ein bißchen. 🙂

  2. Kommentar by Günter Voost — 7. Juli 2010 @ 09:39

    Lieber Herr Kraus,
    ich würde gern etwas Vernünftiges, Kluges sagen, jetzt. Aber das ist natürlich Unsinn.
    Ich bedanke mich einfach, das ich ein winziges Bißchen bei Ihnen sein durfte die letzten Jahre, elektronisch meine ich.
    Ich glaube fest, daß Sie den nächsten Schritt überstehen werden. Und ich bin in Gedanken bei Ihnen. Und ich meine das ernst.
    Danach machen wir die Sache mit dem Kamin und Ihren furchtbaren Zigaretten. Und reden über die Sterblichkeit. Mit der wir es dann aber nicht so eilig haben wollen.
    G.V.

  3. Kommentar by Lutz — 7. Juli 2010 @ 20:14

    Ich werde dann wieder die Daumen drücken, das hat beim letzten Mal auch geholfen 🙂

    Viele Grüße,
    Lutz

  4. Kommentar by thomas gravemaker — 7. Juli 2010 @ 23:21

    Guten Abend Georg,
    It is difficult to imagine you in another place, to imagine you in a hospital, in a different environment. Every morning and every evening I read you. You’re part of my life. And since I’ve been in Ratingen, I can understand and see the sunlight you write about. I can see where you take your shower, I’ve seen it.
    This is not going to be an easy time, but please don’t forget, that we’re all there with you. And even if you’re not writing every day, my first move in the morning will be to the Preußen Blog.
    I would like to invite you for a nice glass of Paulaner in the small cafe opposite my workshop in Paris and walk around the neighbourhood.
    Although I find it sometimes difficult to follow your political comments/reactions, your writing is like that of a great writer-poet.

    Keep your faith and strength and please get and stay well!

  5. Kommentar by Thomas Kersting — 9. Juli 2010 @ 01:47

    Lieber Georg Kraus,
    da nun am Montag die Betriebsferien beginnen, wünsche ich Ihnen einen schönen „Urlaub“ und eine schnelle Rückkehr… – wie paradox doch die Gleichung ist – ist denn eine Variable falsch.

    Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen gute Erholung und das Option 1 durchgeführt werden kann (sonst dauert der „Urlaub“ eben etwas länger)! Die Tage werden schneller vergehen als Sie denken und – glauben Sie mir – es tut auch mal gut, seinen Tagesablauf nicht selbst bestimmen zu müssen. Nehmen Sie bitte unbedingt Block, Bleistift (Setzkasten ist etwas schwer!) und Bücher mit, um sich in den langweiligen Stunden zwischen Trägheit und Müdigkeit schönerer Dinge zu besinnen (so ist das eben im „Urlaub“) – und damit Sie DER bleiben der Sie sind, nämlich Georg Kraus.

    Ich bin ja garnicht so egoistisch, weiterhin drauf zu bestehen, bitte im Preußen-Blog „bespaßt“ zu werden, doch werde ich ihn allein in den paar Tagen Ihres „Urlaubs“ vermissen! Bitte tragen Sie der lieben Tochter Hannah (dem „exterristischen Terrier“ ) auf, hier ab und zu eine Meldung zu veröffentlichen (ähm, bitte mindestens jeden zweiten Tag!).

    Und wenn Sie zurück sind, können wir ja mal wirklich die „gestammelten“ Werke Ihrer kraus(chen)en Gedanken in Blei fassen – und drucken, so just 4 fun! ‚Nen Heidelberger Tiegel habe ich noch irgendwo rumstehen.

    So verbleibe ich mit den besten Wünschen…
    Ihr Schriftsetzer-Kollege und Maschinensetzer
    Thomas Kersting

    PS.: Nutzen Sie doch bitte die Gelegenheit, auf die Blauen, die Gauloises, zu verzichten. Ihre Geschmacksknospen werden das „Frühstück in Ratingen“ wesentlich besser genießen können – ehrlich!

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